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Die Gestalt des Raumes
New York City, 11. November 1957. Die Eröffnung des
Raumes der Stille. Eine Pendeltür in der rechten Ecke der lichtdurchfluteten
Public Hall des Gebäudes der Generalversammlung. Durch diese Tür
betritt man zunächst den schmalen Vorraum, um dann in den Meditationsraum
zu gelangen. Die Dunkelheit des Welten-Raumes empfängt den Besucher.
In der Mitte der etwa 50 qm großen Kammer steht ein anthrazitgrauer
Quader aus sieben Tonnen schwedischem Eisenerz. Er wurde auf Hammarskjölds
Bitte vom LKAB Bergbaukonzern gestiftet. Die einzige Lichtquelle ist ein
künstlicher »Sonnen«lichtstrahl aus einer in der Raumdecke
verborgenen Leuchte. Der Lichtstrahl trifft auf die Oberfläche des
glattpolierten Eisenerzblockes, von wo aus sein Licht in den Raum gestreut
wird. Im vorderen Raumdrittel, wo der Schritte Schall auf dem Natursteinboden
durch einen roten Teppich gedämpft wird, erwarten 12 Hocker die Kontemplationswilligen.
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Die trapezförmige Geometrie des Raumes läuft
auf ein Fresko mit geometrischen Flächen und Figuren zu, dessen
abstrakte Symbolik vom im Raum ausgestreuten Lichtquantum etwas erhellt
wird. Die Breite der Eingangswand beträgt etwa neun Meter und
die der Stirnseite mit dem Fresko nur noch etwa drei Meter. |
Mit einer Länge von etwa neun Metern und einer Höhe
von etwa drei Metern kann der Meditationsraum durchaus den Eindruck einer
Grab- oder Initiationskammer im Innern eines Felsentempels oder einer
Pyramide erwecken. Als 1972 eine Gruppe von amerikanischen Ureinwohnern
die UNO und den Meditationsraum besuchte, fiel deren Medizinmann dort
in Trance und verkündete den überraschten UN-Mitarbeitern, dass
dieser Raum auf einem heiligen Ort der Kraft errichtet worden sei.
Der Grundstein Der Eisenerzquader, Altar und Erdreich zugleich darstellend,
kommt aus der Erzgrube der Nordpolarkreisstadt Gällivare-Malmberget.
Die Legende will wissen, dass das Material einem Eisenerz-Meteoriten (Holosiderit)
entstammt, welcher sich vor prähistorischen Zeiten in Lapplands Boden
gebohrt haben soll. Dag Hammarskjöld sagte über diesen Grundstein
in seiner Eröffnungsansprache: »Wir können ihn als einen
Altar ansehen, leer, nicht weil da kein Gott [anwesend] ist, … sondern
weil er jener Gottheit gewidmet ist, welche die Menschen unter vielerlei
Namen und in vielerlei Formen verehren.«
Man beachte, dass Hammarskjöld im Konjunktiv (»ansehen können
«) sprach. Es gibt auch Stimmen, welche in diesem behauenen und
geschliffenen Magnetgestein den formvollendeten Grundstein der Freimaurerei
zu erkennen glauben. In der Symbolsprache der esoterischen Vereinigung
der Freimaurer wird von der geistigen und charakterlichen Arbeit am »Rauhen
Stein«, bzw. am noch rohen und unfertigen Bewusstsein der menschlichen
Seele gesprochen. Der eigene Ego-Charakter soll solange geistig bearbeitet
werden, bis er sich als dem Geiste der Humanität dienliches Ich und
Selbstbewusstsein in den Bau des Menschheitsdomes einfügt. Psychologisch
gesprochen: die Verwandlung von Gruppen-Egoismus, Glaubens- Konformismus
und Auto-Aggressivität in Ich-Stärke, Menschenliebe und Menschheitsdienst.
Dieser Menschheitsdom findet sich auch als Tempel Salomons oder als Neues
Jerusalem in der Bibel wieder. Im 21. Kapitel der Johannes- Offenbarung
beschreibt der Seher von Patmos das Neue Jerusalem als einem formvollendeten
Kubus. Dies bedeutet, dass das Kunstwerk des Menschheits-Tempels, bzw.
der Menschheit als Tempelstätte des Welten-Geistes, nun endlich vollbracht
ist. Das Ganze ist am Ende mehr als nur die Summe der Teile. Eine gedankliche
Verbindung zu dem zerbrechlichen und noch sehr UNvollkommenen Versuch
namens »Vereinte Nationen« bietet sich an. Block aus Eisenerz
im Raume des Schweigens, Mars gezähmt durch Meditation. Die Synthese
aus freimaurerisch anmutendem Tempelbaustein und scheinbar alttestamentarischem
Opferaltar (letztendlich um die Habgier des Egos zu opfern, auf-zu-geben,
bzw. dessen Triebkraft zu transformieren), eine sehr überpersönliche
Idee von Hammarskjöld, war und bleibt vielen Besuchern ein Rätsel.
Das Rätsel hat ein Vorbild. Der Vorläufer dieses Eisenerz-Altarsteines
findet sich in der 1944 erbauten Allhelgonakyrkan (Allerheiligenkirche)
in Malmberget, einem Stadtteil der am Hammarsee gelegenen Stadt Gällivare.
Kirche und Altar sind eine Schenkung der schon erwähnten LKAB-Bergbaugesellschaft.
Einer der Direktoren war ein Bruder des Hammarskjöld’schen
Jugendfreundes Jan Waldenström.
Das Fresko
Zusammen mit der zum Trapez verkürzten, dreieckigen
Grundfläche des Raumes sowie der Dunkelheit, dem Eisenerzblock und
dem Lichtstrahl bildet das Fresko des schwedischen Malers Bo Beskow ein
weiteres Element des UNO-Meditationsraumes. Das Medium selbst ist schon,
zumeist unbeachteter, Teil der Botschaft: Ein Fresko ist eine aus der
Antike stammende Technik der Wandmalerei auf frisch aufgetragenen Putz,
mit dem sich die Farben unauflöslich verbinden. Diese hellenistisch-orientalische
Maltechnik aus dem Zeitraum der alten Mysterienstätten wurde später
auch von Michelangelo virtuos benutzt. Genau wie in der Biografie eines
Menschen kann der Maler mit dieser Technik sein Werk nur stück und
schrittweise vollenden. Der Maler muss eine umfangreiche Erfahrung und
eine gute Intuition besitzen, da die endgültigen Tonwerte der Farben
erst nach Wochen in Erscheinung treten, wenn alle Putzmörtelschichten
im Laufe der Zeit langsam durchgetrocknet sind.
Aber nicht nur die Maltechnik und das Material ist Teil der Botschaft,
sondern auch die Musik (Schwingung) und die Mathematik des Wandgemäldes
sind Teil seiner Aussage-Kraft-Einwirkung auf das Bewusstsein des Meditierenden.
Auf die pythagoräische Verbindung von Geometrie (Welten-Form) und Musik
(Welten-Klang) anspielend, zitiert der Maler Bo Beskow auf Seite 72 seines
Buches über Dag Hammarskjöld aus der Schrift »Lebendige Musik« des
Komponisten Carl Nielsen: »Lerne, dass das Geringfügigste das Bedeutsamste
ist, dass zwei Farben, drei Töne, zwei rechte Winkel und ein Kreis für
jenen, der die wahrhafte Glückseligkeit als bescheidener Diener in der
Welt des Künstlerischen erreicht hat, genug sind.« Dies gilt nicht
nur für den Künstler im gewohnten Sinne, sondern auch für den
Seelenkundigen und für die soziale Regierungskunst eines Menschheitsethikers.
Nordischer Kubismus Der UNO-Meditationsraum in New York
Die von Picasso und Braque begründete (psychologische) Kunstrichtung des
(geometrischen) Kubismus, welche alles Gegenständliche auf mathematische
Grundformen (z.B. Quadrat, Kugel, Dreieck, Spirale, Kreis) abstrahiert, erzeugt
durch das Fresko sowie als allgemeines Prinzip der Raumgestaltung psychologisch-optische
Effekte, welche das Bewusstsein in einen meditativen und überwachen Zustand
versetzen können. Die ganze Dämmerlicht-Atmosphäre des UNO-Meditationsraumes
mit seinem das lokale elektromagnetische Feld und den Körper des Meditierenden
leicht beeinflussenden Eisenerzblock erinnert an den nordischen Surrealismus
der Polarnächte mit ihren Nord-lichtphänomenen und ihrer Sonne, welche
am Horizont stehend die Nacht hindurch scheint. Die Menosphäre des Nordpolarkreises
findet sich auch in den Farben des Freskos wieder: eisblau-weiße und
ockergelb-graubraune Töne bestimmen das Fresko, in welchem sich die Rechteckform
des Eisenerzquaders mehrfach widerspiegelt.
Michaeli. Des Freskos Wesen Das Fresko entstand in der Zeit von Anfang September
bis Ende Oktober 1957, also während der Tagundnachtgleiche. In diese Zeit
fällt auch das Michaeli-Fest, die Begegnung des Erzengels Michael mit
dem Drachen Ahriman als Ausdruck des kosmischen Ringens von Licht und Finsternis.
Ein Ereignis, welches auch beständig in der menschlichen Psyche stattfindet – als
Ringen der sozialen und humanen Kräfte mit den anti-sozialen und inhumanen
Trieben. Dag Hammarskjölds Körper wurde am 29. September (Michaeli)
in Uppsala beerdigt.
Das Fresko zeigt einen von oben kommenden Lichtstrahl bzw. Lichtspeer in der
Form einer Doppelhelix, der ein irdisches Rechteck (Eisenerzquader) als Symbol
der marsianischen Drachenkräfte durchbohrt und damit zugleich die Oberwelt
mit der Unterwelt verbindet. Die frei schwebend kegelförmige und weißgelbe
Fläche im linken oberen Bildbereich scheint durchaus den Leib des Michael
zu symbolisieren, während die beiden halbkreisförmigen Möbiusbänder
stellvertretend für des Himmelsboten Flügel stehen. Das Zentrum des
Freskos, wo sich die Mehrzahl der geometrischen Linien treffen, bildet der
abstrakte Yin-Yang-Kreis mit seiner dominant dunklen Halbmondseite.
Bo Beskow und Dag Hammarskjöld schwiegen eisern in der Öffentlichkeit
zu der Bedeutung des überkonfessionellen Freskos. Gegenüber der Hauszeitschrift
UN-Review und dem Magazin The New Yorker sagt Beskow: »Alles, was ich
ernsthaft beabsichtigte, war, die Wand zu öffnen, um das Auge weiter und
tiefer reisen zu lassen und dabei den Geist zu öffnen, um eine meditative
Wahrnehmung hervorzurufen…« Und auf die voreilige und denkträge
Frage, was dies bedeutet, antwortete der Künstler: »Es ist nicht
die Frage, was dies bedeutet [entscheidend], sondern was dies beim Beobachter
auslöst.«
Zur visuellen Konkretisierung ist oben die themengleiche Skulptur des Schweizer
Künstlers Eugen Renggli abgebildet. Das Kraftpotential der Schlange wird
auch dort als eine Art Altarblock dargestellt, auf welchen der Sonnenlichtstrahl
des Michaelsgeistes fällt. Aber bleiben wir in New York. Außerhalb
des Initiationsraumes steht in der angrenzenden UNO-Parkanlage ein Zeichen
am Weg zur Entschlüsselung des Freskomotives. Eine groß angelegte
Skulptur zeigt dort einen Reiter (St. Georg), welcher seine Lanze in das Herz
eines am Boden liegenden, zweiköpfigen Drachens hineinstößt.
Der Drachenkörper besteht aus (verschrotteten) Titanstahlbauteilen atomarer
Interkontinentalraketen.
Bald nach dem 11. September 2001 fand sich um Eugen Renggli eine Gruppe von
Kunsthandwerkern ein, die die Errichtung der Skulptur (s. S. 127) als ca. 33m
hohe Reliefskulptur in einer großen Stadt in Nordamerika plant. Mit dieser
Figur, deren Inneres aus Rosenquarz und anderen kristallinen Substanzen bestehen
soll, wird ein Zeichen gesetzt werden, das auf die Notwendigkeit des michaelischen
Kampfes gegen die Drachenkräfte hinweisen will. (Die Realisierung bedarf
allerdings noch der tat- und finanzkräftigen Unterstützung Gleichgesinnter,
die sich mit ihrer Hilfe an das Dag- Hammarskjöld-Institut wenden können,
s. S. 239 u. S. 251.)
Der Sinn des Raumes
Der zuvor schon bestehende UN-Gebetsraum litt unter dem babylonischen Symptom:
Alle wollten ihre konfessionellen Symbole darin wieder sehen und ihre gewohnten
Gebete darin sprechen. So konkurrierte unter anderem das jüdische Glaubenssymbol,
die Menora, der siebenarmige Kerzenleuchter, mit dem katholischen Kruzifix,
mit islamischem Halbmond und Gebetsteppich, mit der hinduistischen Figur eines
tanzenden Shiva und mit dem Lotussitz einer Buddhastatue. Kurzum, der Gebetsraum
vor Dag Hammarskjölds Initiative drohte zu einem Krämerseelenladen
zu werden. Lassen wir den Komponisten des UNO-Meditationsraumes selbst zu Wort
kommen. In seiner Einweihungsrede, welche als Faltblatt an alle Besucher des
Raumes verteilt wurde, spricht Dag Hammarskjöld:
» Es war die Absicht, in diesem schmalen Raum einen Ort zu erschaffen,
wo die Tore zu dem unendlichen Land der Gedanken und der Gebete offen stehen
mögen. Menschen vieler Glaubensbekenntnisse werden sich hier zusammenfinden;
und aus diesem Grund konnte keines der Symbole verwendet werden, an die wir in
den einzelnen Meditationen gewöhnt sind.
Doch es gibt Dinge [Ur-Erfahrungen], welche zu uns allen in der selben Sprache
reden. Wir haben nach solchen Dingen gesucht und wir glauben, dass wir sie
gefunden haben in einem Lichtstrahl, welcher auf die schimmernde Oberfläche
eines schweren Felsens trifft. Darum sehen wir in der Mitte des Raumes ein
Symbol dafür, wie Tag für Tag das Himmelslicht der Erde Leben spendet.
Für viele von uns ein Symbol dafür, wie erst das Licht des Geistes
der Materie Leben gibt. […]
Das Material des Eisenerzsteines lenkt unsere Gedanken auf die Notwendigkeit
der Wahl: zwischen Zerstörung und Aufbau, zwischen Krieg und Frieden.
Aus Eisen hat der Mensch seine Schwerter geschmiedet, aus Eisen hat er aber
auch seine Pflugscharen hergestellt. Aus Eisen hat er Panzer konstruiert, aber
mit Hilfe des Eisens hat er ebenso auch Häuser gebaut. Der Block aus Eisenerz
ist Teil des Reichtums, den wir auf dieser unserer Erde ererbten. Wofür
werden wir ihn benutzen? […] Ein sehr altes [buddhistisches] Sprichwort
besagt, dass der Sinn eines Gefäßes und eines Fahrzeuges nicht in
ihrer materiellen Umwandung liegt, sondern in ihrer Leere. So ist es auch mit
diesem Raum hier. Es ist Aufgabe jener, die diesen Raum betreten, die Leere
zu füllen mit dem, was sie im Zentrum ihrer Stille finden.« Der
Meditationsraum nicht nur als Kunstwerk, sondern auch als ein zen-buddhistisches
Koan (meditatives Rätsel). Der Initiationsraum als In-Frage-Stellung der
gewohnten Formen und als Angebot, den Geist zu öffnen für andere
Weiten. Ein Ort für Meditation und Mediation: Ent-Spannung, Versenkung,
Vermittlung und Verwandlung. Viele Menschen, bekannte wie unbekannte, haben
den UN-Meditationsraum besucht. So auch der mit Hammarskjöld befreundete
Religionsphilosoph Martin Buber.
Dieser zitiert in seiner Schrift Ekstatische Konfessionen über religiös-mystische
Erlebnisse in allen Kulturen dieser Welt einen Absatz aus Rumis Divan, welcher
den Leitgedanken des Meditationsraumes widerspiegeln könnte: »Ich
bin nicht Christ, nicht Jude, nicht Parse, nicht Moslem. […] Mein Ort
ist das Ortlose, meine Spur ist das Spurlose. […] Ich habe geschaut,
dass die Welten eins sind.«
Der Anthropologe und Mystiker Pierre Teilhard de Chardin stirbt in seinem New
Yorker Exil. Hammarskjöld schreibt in sein Tagebuch: »Rumi: Wer
Gott liebt, hat keine Religion außer Gott.« Dies dürfte für
manche, konfessionell stark fixierte Besucher nicht einfach nachzuvollziehen
sein. Manche finden (hier) weder ihr Zentrum noch die Gedanken-Stille, die
zum namen- und gestaltlosen Herz-Zentrum führt, in dessen Bewusstsein
alle Namen und Gestalten gleichberechtigt miteinander verbunden sind. Dieser
durch den UNO-Meditationsraum auslösbare intra- und interkulturelle Prozess
ist ein anderes Wort für Weltfrieden.
Die Stunde der Meditation
Wie Bo Beskow in seiner Hammarskjöld-Biografie andeutete, ist der Raum
infolge des allgemeinen Lärmpegels der Umgebung und der emotionalen wie
mentalen Geschäftigkeit während der Tagesstunden eigentlich nur nach
dem allgemeinen Dienstschluss für echte Kontemplationsübungen nutzbar.
Spätabends nach Sonnenuntergang bis frühmorgens vor Sonnenaufgang
breitet sich in dem UNO-Gebäude jene physikalische und mentale Stille
aus, welche eine ungestörte Meditation ermöglicht. Oft war es die
Stunde um Mitternacht, wenn ferne Sonnen als Sterne erscheinen, die der zumeist
bis spät am Abend werktätige UN-Generalsekretär und einige (wenige)
seiner Mitarbeiter für ihre meditative Regeneration nutzten. Die normalen
Touristenströme und UNO-Besucher haben nicht die Möglichkeit, die
mentale Atmosphäre des Raumes im mitternächtlichen New York nachzuerleben.
Und da nur noch wenige in diesen Raum eintreten, mit dem Wissen, wie zu sinnen
und wonach zu beten, ist dies auch nicht weiter dramatisch. In gewisser Weise
ist dieser unterschätzte und durch Fehlbehandlung mittlerweile in seiner
aktiven Wirksamkeit reduzierte Raum zu einem Zukunftsfragment geworden, welches
auf jenen wartet, der es zu reaktivieren weiß.
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