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  Bertil Ekman  
           
   

 

»Verstreute Blätter.« Ein Motto für einen Mentor


Das Tagebuch beginnt mit einem Motto: »Nur die Hand, die ausstreicht, kann das Rechte schreiben.« Dieses Credo des bedeutungsvollen Verschweigens ruft nach einer Erwiderung, die eine Erweiterung ist: Nur das Auge, welches das Unbeschriebene zwischen den Linien zusammenfügt, kann das Rechte lesen. Der von Hammarskjöld im Original nicht benannte Autor dieses Mottos, der 1958 verstorbene Dichter Bertil Malmberg, gibt schon mit seinem Namen zwei Hinweise. Malmberget ist die Nordpolarkreis- Stadt, wo jene auch von Hammarskjöld besuchte Allerheiligenkirche steht, in der ein Eisenerzblock als Altar dient. Aus der gleichen nordischen Eisenerzgrube entstammt später der Quader im Hammarskjöld’schen UNO-Meditationsraum.

Zudem trägt der Autor des Mottos zufälligerweise den gleichen Vornamen wie jener 1920 im Hochgebirge verstorbene 26-jährige Uppsala-Student und Mystiker Bertil Ekman, über den Hammarskjöld zu Sven Stolpe sagte, dass er mit ihm vertraut gewesen sei und Ekman ihm viel bedeutet habe. Noch 1955 zitierte Hammarskjöld in einem Brief über die chinesische Freigabe der US-Flieger an einen Freund in Schweden einen Gedanken Bertil Ekmans über die Zusammenarbeit von Mensch und Gottheit.1 In Ekmans einziger, 1923 posthum veröffentlichten 69-Seiten-Schrift Verstreute Blätter finden sich im ersten Kapitel der spätere UNO-Meditationsraum und das geometrische Fresko in einer Gedankenform: »Alle Schwierigkeiten des Lebens müssten … zum Steinblock werden, den die Flut treibt zum schäumenden Wasserfall, der Verheißung schimmernde Regenbogen über sich – die Willenserscheinung. […] Paradox ist das geometrische Medium für Gedanken und Gefühl. «

Ob, wo und wie der 15-jährige Oberstufenschüler Dag Hammarskjöld dem 26-jährigen Pädagogik- und Philosophie-Studenten Bertil Ekman in dem relativ kleinen Uppsala begegnete, ist bislang nicht erforscht. Es gibt auf beiden Seiten noch unveröffentlichte Papiere. Aber es ist denkbar, dass eine unmittelbare Begegnung stattfand. Lange Jahre war Ekmans Buch vom Markt verschwunden. Die Mitarbeiter der Königlichen Bibliothek in Stockholm glaubten es irgendwo in ihrem riesigen Magazin gelagert zu haben. Erst der April 1999 förderte, durch eine intensive Antiquariatssuche, das verschollene Werk wieder ans österliche Tageslicht. Das erste Lesen machte schon deutlich: Hier hatte sich der Mentor gefunden, dessen Nachlasswerk Hammarskjöld als strukturelles und geistiges Vorbild für seine gleichsam posthum publizierten Zeichen am Weg diente.

Die Entdeckung der inneren Beziehung der beiden Uppsala- Mystiker Dag Hammarskjöld und Bertil Ekman eröffnet die Chance, dass man beider Tagebücher im Zusammenhang lesen kann. (Ekmans Buch ist auf Deutsch bislang noch nicht veröffentlicht.) Das Beschreiten des geistigen Weges hat der spätere Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger auch dem literarischen Weckruf des weithin unerkannt gebliebenen Ekman zu verdanken. Für die Beschreibung der gemeinsamen spirituellen Erfahrungswelt wählte Bertil Ekman eine schlichtere und unverschlüsseltere Sprache als der unter öffentlicher Beobachtung stehende Hammarskjöld. In seinen Aufzeichnungen und Gebirgsmeditationen behandelt er auch die hammarskjöldsche Thematik: das Werden des geistigen Menschen und einer planetarischen Menschheit. So im Kapitel »Wesen und Wirklichkeit« (S. 10): »Noch schwebt die Berufung zur Menschheit wie ein Adler ohne Heimat über den blutenden und kämpfenden Nationen. […] Die Welteinheit kann nur organisch wachsen. […] Hinter dem Nationalstaat und dem Patriotismus steht das Heidentum, … aber nicht der Christus- Geist.«

»Das Leben wurde erst für mich Wirklichkeit, als ich es wahrnahm als einen Willens-Weg auf den Tod zu.« Klingt nach Hammarskjöld, ist Ekman (S. 57). Und auf Seite 62 schreibt Ekman über die geistige Menschwerdung, wobei der Name Dag auftaucht: »Die Aufrichtung des Menschen, die doch unser aller Pflicht ist, ist so kostspielig: Wolken und Vögel und Libellen haben Flügel; sie alle haben Flügel, nicht aber ich; warum darf Dag immer ohne Flügel gehen?«

Die Lektüre von »Verstreute Blätter« findet sich in Hammarskjölds Zeichen am Weg anonym wieder. Im November 1918 (S. 63) zitiert Ekman einen unbenannten Autoren auf Deutsch, wahrscheinlich Eckhart. Er denkt dort über das Schicksal nach: »Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt.« Bei Hammarskjöld liest sich dies 1953 so: »Gott, welcher den Menschen zermalmt, wenn er den Menschen erhebt.«

Im Dezember 1919 (S. 64) schreibt Ekman: »Das Beste am eigenen Raum ist die Einsamkeit. Sie kann geben: Stille [und] Religion.« Und auf Seite 67 über äußere Räume und innere Träume: »Eines Nachts stand ich und sah hinauf in die Nachträume und ahnte, wie neues Leben hervorsprang aus einem jungen Stern. Ahnte, dass dieses Lebens […] Vervollkommnung abhängig ist von meines Wesens Reinheit oder Niedrigkeit, meines Willens Gutheit oder Bosheit – oh, wir stehen alle in der Verantwortung füreinander.« Beide Stellen zusammen, indirekt auch Bertil Ekman selbst, finden sich im Jahr 1950 in Zeichen am Weg: »- einer von denen, […] die einen Stern ihren Bruder nennen. Einsam. Aber Einsamkeit kann eine Kommunion sein.« Ein anderes Wort für Einsamkeit ist Stille, und Kommunio(n) ist Religio(n).

Am Scheideweg. Verwandlung oder Anpassung

Beide, Dag Hammarskjöld und Bertil Ekman, kannten jene Einsamkeit die Maurice Maeterlinck in seinem Werk »Die Unterrichteten « schildert. Sie hatten beide auf dem Berg des Bewusstseins und in der talmudischen Tiefe der Nacht »die Weisung« empfangen. Aber die Mehrzahl ihrer Zeitgenossen hat noch kein Organ für dieses geistige Ge-Wissen ausgebildet. So blieb ihnen nur, im Tagesgeschäft zu schweigen, einsam zu sein, und in der Nacht an ihren Tagebüchern zu schreiben. Hammarskjöld war jener von beiden, der diesen einsam-religiösen Weg bis ans Ende gegangen ist und seine individuelle Religio zeitweise in eine öffentliche Menschheits-Ethik umsetzen konnte. So wie Goethe den Bergführer Montan in den Wanderjahren zu Wilhelm Meister sagen lässt: »Übe dich zum tüchtigen Violinisten und sei versichert, der Kapellmeister wird dir deinen Platz im Orchester … anweisen. Mache ein Organ aus dir und erwarte, was für eine Stelle dir die Menschheit … zugestehen werde.«

 

 

 

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