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Dag Hammarskjöld als Diplomat, Humanist, Christ, Menschenrechtler
und Nobelpreisträger. Die vorangegangene Schilderung, beeindruckend
genug, zeigt mehr den äußeren Lebenslauf Hammarskjölds.
Wenn man als Mensch und Publizist integer bleiben will, so muss man dem äußeren
Lebenslauf noch die inoffizielle und geistesgeschichtliche Biographie
hinzugesellen.
Als der, der du bist, darfst du dich nicht zeigen... Erste deutliche
Hinweise gibt sein 1963 posthum veröffentlichtes Tagebuch »Zeichen
am Weg«. Es schildert den Prozess der Metamorphose des virtuosen
Diplomaten und internationalen Staatsbeamten in einen Menschen der den
erwachten und lebendigen Geist in sich, in seinem Ich, trägt. Wir
können dies auch, in mythologischen Chiffren gesprochen, als eine
Art von Grals- oder »Christus«-Erlebnis kennzeichnen. Hammarskjöld
selbst vermeidet das Wort Christus in seinem Tagebuch. Wir werden noch
sehen warum.
Am 26. Dezember 1956, dem zweiten Weihnachtsfeiertag und zugleich Namenstag
des Stephanus, des ersten Nachfolgers von Jesus, vermerkt Dag Hammarskjöld
in seinem Tagebuch: »Es passiert lediglich dem einen Menschen und
nicht den anderen...«. Am Tag zuvor die Notiz: »Von der ewigen
Geburt – damit ist jetzt für mich alles gesagt, was ich lernte
und lernen muss.«
Einige Zeilen weiter findet sich in diesen Dezembertagen das chiffrierte
Protokoll einer Begegnung im geistig-seelischen Raum: »Deine Anweisungen
werden im Verborgenen erteilt. Möge ich sie immer hören – und
antworten.«
Und am 31. Dezember 1956 benutzt er einen prophetischen Bibelpsalm, um
diese höhere Selbst-Erfahrung, seiner Zeit und seinem Kulturkreis
gemäß, zu umschreiben: »In dem Volumen des Buches steht
von mir geschrieben ... ja, Dein Gesetz ist in meinem Herzen. Ich habe
Deine Rechtschaffenheit in der großen Versammlung deklariert: Nein,
ich werde meine Lippen nicht verschließen...«.
Es sind nur etwa sechs Wochen vergangen seitdem Hammarskjöld im November
des Jahres 1956, zwei Vetomächte zurechtweisend, vor der großen
UNO-Vollversammlung über die Lösung der Suez-Krise sprach und die
Regierungen dieser Welt dazu bewegte, eine neutrale UNO-Friedenstruppe zu begründen.
Es wäre vollkommen fehlplatziert und kontraproduktiv gewesen in dieser
Versammlung in einer religiös-moralisierenden Sprache zu sprechen. Hammarskjöld
benutzte die juristisch-psychologische Sprache der Diplomatie – aber
die Kraft, die ihn trug und beflügelte war eine zutiefst transpersonal
religiöse. (Martin Buber und Saint John Perse haben diese »Menschheitsgeistreligio« verstanden.)
Lassen Sie mich die Geschichte dessen, den wir glauben unter den Namen
Dag Hammarskjöld zu kennen einwenig ergänzen.
Anfang des 17. Jahrhunderts gab es in Smaland in Südschweden einen freien
Großbauern mit dem Namen Peder Mikaelsson (Peter Michaelssohn). Der Wasa-König
Karl IX erhob den ihm als Rittmeister dienenden Peder Mikaelsson im Jahr 1610
wegen dessen außergewöhnlichen Mutes und Einsatzes für das
Vaterland in den Adelsstand. Peder Mikaelsson bekam nicht nur das Rittergut
Tuna und den Titel »Ratgeber des Königs« verliehen, sondern
auch zusammen mit dem neuen Familienwappen einen neuen Adelsnamen: Hammer und
Schild – Hammarskjöld.
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Die beiden Hämmer überkreuzen sich und bilden zusammen
mit den senk- und waagrechten Verbindungslinien zwischen den vier
Weltenkugeln einen achtstrahligen Stern, welcher mit der Acht (8)
in der Königskrone korrespondiert. |
Von dem schwedischen Monarchen Karl XV (Regentschaftszeit 1859 – 1872)
aus dem Hause der Bernadotte ist der Ausspruch überliefert: »Ohne
wenigstens einen Hammarskjöld bringen wir nichts zustande.« So
hat die Familie Mikaelsson-Hammarskjöld z.B. in nur zwei Generationen
u.a. fünf Minister und einen Ministerpräsidenten gestellt.
Dies war nicht ungewöhnlich für die Söhne des alten hebräischen
Sturmgeistes Mikael, der in der Mythologie des Christentums zum Erzengel
Michael aufstieg.
»Der Wind weht, wo er will – So ist ein jeglicher, der aus
dem Geist geboren ist.« Zeichen am Weg, Mai 1956. Und einige Zeilen
weiter schreibt Dag Hammarskjöld über den Menschen, dem es
bestimmt ist ein Segel zu sein: »so leicht und stark, dass ...
es alle Kraft des Windes sammelt, ohne seinen Lauf zu hemmen.«
Dag Hammarskjöld-Mikaelsson. Geboren am Vormittag des 29. Juli
1905 in der Villa Liljenholm am Vätternsee. Getauft nach der Rückkehr
seines Vaters von den Verhandlungen mit den Norwegern über die Auflösung
der staatlichen Union mit Schweden am 29. September 1905. (In der alten
christlichen Tradition der Tag Michaels.) Zur Taufe bekam er von den
drei schwedischen Friedensunterhändlern, die seinen Vater bei den
Verhandlungen begleiteten, einen silbernen Kelch.
In den Kelch war nicht nur das Familienwappen eingraviert, sondern auch
die Inschrift »Für den, der solange namenlos blieb.«
Zu diesem Erbe lernte Dag langsam Ich (schwedisch Jag) zu sagen. Der
Kelch und das Wort Gralsgemeinschaft taucht in seiner Korrespondenz
mit engen Freunden und Mitarbeitern wie auch im Tagebuch auf. Nicht
nur seinem Freund und Pressesprecher George Ivan Smith (siehe Briefwechsel)
und anderen aus dem »inneren Kreis der Magier« (Zitat v.
Saint John Perse) schenkt er silberne Kelche, sondern auch seinem Patenkind
Maria Beskow – mit dem eingravierten UNO-Symbol. Ulla-Britta
Beskow, die Tochter von Maria, wird später u.a. die Dag Hammarskjöld
Ausstellung im Wasa-Schloss von Uppsala mitgestalten.
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Martin Bubers »Dialogisches Prinzip«: »Alles
wirkliche Leben ist Begegnung.« Die Wesensbegegnung zwischen
zwei Menschen oder zwischen einem Menschen einem tranzendenten »Du« kann
zu einem Geist- bzw. »Gralserlebnis« führen. |
Im April 1956 erweitert Dag bei seiner ersten Pressekonferenz als neu
gewählter UNO-Generalsekretär seinen Adelsnamen zu einem kosmopolitischen
Programm: Schmiedehammer für die Realisierung der UNO-Charta und
der Allgemeinen Menschenrechtserklärung zu sein – und Schutzschild
für die kleinen und neutralen bzw. blockfreien Staaten gegenüber
den großen Mächten der Welt.
Zur Konfirmation bekam er von seiner Mutter Agnes das Büchlein »De
Imitatione Christi – Das Buch von der Nachfolge Christi« von
Thomas von Kempen, mit bürgerlichen Namen Thomas Hammerken (Hämmerlein)
geschenkt. Die Konfirmation fand im Dom von Uppsala statt. Dieser ist über
einer alten Kultstätte errichtet, die früher einmal u.a. dem
Sturmgott Thor geweiht war. Als Gottheit der ausgleichenden Gerechtigkeit
war er auch der Gegenspieler des Feuerdämons Loki und der Midgardschlange.
Zentrales Symbol Thors war sein Hammer Mjöllnir und sein Beiname
Weor (»Schirmer«) kennzeichnet ihn als Schildträger.
Heute wacht über dem Dom von Uppsala der Erzengel und Schlangenbezwinger
Michael – siehe Fotos auf Seite 60.
In New York gestaltet Dag Hammarskjöld nach eigenen Entwürfen
einen Meditationsraum. Zentrale Gestaltungselemente sind Stille, Lichtstrahl,
Eisenerzblock und das abstrakte Fresko von Bo Beskow (siehe Seite 57).
Dieses kann als Erzengel Michael (Lichtstrahl) im Kampf mit den Drachenkräften
(Eisenerzblock) interpretiert werden – so wie im Titelbild dieses
Buches. Aber auch die Interpretation als wirbelnder Derwisch oder tanzender
Shiva (Lichtstrahl und Möbiusband), der Kama, den Gott der Leidenschaften
(Eisenerzblock) zerstampft, ist möglich. Der Buddhist mag darin
auch einen Buddha (Lichtstrahl) erblicken, welcher die materielle Welt
der kriegerischen Eisenkräfte und marsianischen Emotionen (Hämoglobinqualität
im menschlichen Blut) erleuchtet.
Diese offene Leere, siehe seinen Text (S. 55) zur Einweihung des Raumes,
und dieses breite Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten war von
Dag Hammarskjöld gewollt. Unter diesem Gesichtspunkt könnte
man den Meditationsraum auch als eine Art modellhaften, überkonfessionellen
Menschheitstempel bezeichnen.
Es wäre an der Zeit mehrere solcher »a-theistischen« bzw.
interkulturellen Meditationsräume auf verschiedenen Kontinenten
einzurichten. Möglich, dass der eine oder die andere Besucherin
dieses Meditationsraumes vielleicht auch einmal darüber nachsinnt,
was sich in dem Namen des Stifters des Raumes ausspricht: Dag Hammarskjöld-Mikaelsson – Tageslicht
Hammerschild Michaels Sohn.
Nehmen Sie dies als ein kleines Zenkoan, so wie auch der späte Hammarskjöld
sich nicht nur dem meditativen Bogenschießen zuwandte, sondern
auch der Zen-Meditation und dem zuletzt in seinem Tagebuch benutzten
japanischen Kurzgedicht (Haiku).
Dag Hammarskjöld verstarb in der Nacht vom 17. auf den 18. September
1961 in Schwarzafrika, dem »Herz der Finsternis« (Joseph
Conrad), an einer dreifachen Fraktur seiner Wirbelsäule. Die südafrikanische
Wahrheitskommission des Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu veröffentlichte
im August 1998 den Codenamen, den die beteiligten Geheimdienste Dag Hammarskjöld
gaben. Es war dies das französische Wort »Céleste«,
prosaisch für »Himmlischer«.
Die Kongolesen nannten ihn, wie von Jean Ziegler im Grußwort geschrieben, »Mundele
mia Nzambi« – der von Gott bzw. den Göttern gesandte
Weiße.
Wenn wir es nicht bevorzugen über die geistige und mythologische
Signatur der Geschichte von Dag Hammarskjöld hinweg zu lesen (»Alles
nur komische Zufälle.«), dann stehen wir spätestens Jetzt
an einer Erkenntnisschwelle. Einer Erkenntnis, der die nur einseitig
rationalistisch gesinnten Akademiker genau so ausweichen wie jene wenigen
christlichen Theologen, die Dag Hammarskjöld vorschnell nur als »christlichen
Mystiker« einordnen und vor ihren konfessionellen Pferdewagen spannen
wollen (und dabei, wie eine katholische Nonne und Buchautorin, auch nicht
vor Fälschungen zurückschrecken).
Das, was Dag Hammarskjöld erfahren hat: » – ein Kontakt
mit der Wirklichkeit«, über den er 1955 drei Zeilen weiter
schreibt: »Wie anders, als das, was die Weisen Mystik nennen.«,
findet sich eher im Werk »Ich und Du« (1923) von Martin Buber
wieder.
In diesem Werk, das Dag Hammarskjöld zur Übersetzung bei seinem
letzten Flug mit sich trug, hat Buber seine mystische Periode (z.B. »Ekstatische
Konfessionen«, 1909) überwunden und zu einer ganz neuen überkonfessionellen
und im besten Sinne a-theistischen Denk- und Sprachweise gefunden.
Auch Dag Hammarskjöld ist diesen Weg gegangen. Zuletzt lies er »Die
Nachfolge Christi« in seinem Gästezimmer in der Hauptstadt
des Kongo zurück. Wer nur bestimmte größere Entwicklungsabschnitte
im Leben von Dag Hammarskjöld betrachtet, der könnte ihn – bei
solchermaßen verkürzter und vergangenheitsbezogener Betrachtung – als
Christen oder Mystiker im herkömmlichen Sinne bezeichnen. Zuletzt
aber hat Dag Hammarskjöld die Grenzen des traditionellen Christentums überschritten...
Nach seinem Tode, die Beerdigung fand am 29. September 1961 auf dem
Waldfriedhof von Uppsala statt, wurden u.a. Fotos seines New Yorker Schlafzimmers
(siehe Foto Seite 41) veröffentlicht. In diesem bescheiden eingerichteten
Refugium schlief, meditierte und betete Dag Hammarskjöld nicht nur,
sondern hier verfasste er auch nachts Teile seines Tagebuches.
Was all jene überraschen dürfte, die ihn posthum nur zum christlichen
Mystiker verkleinern wollen: es findet sich darin nicht ein christliches
Symbol bzw. das Wort Christus, genau so wenig wie im UNO-Meditationsraum
oder im Tagebuch.
Stattdessen bleibt die Mitte der Wand hinter dem Bett frei und leer.
So wie dies in der universellen Namens- und Gestaltlosigkeit des Zen-Buddhismus,
des Suf’ismus (Rumi) und für das Spätwerk Meister Eckharts üblich
ist.
Die einzigen beiden Bilder des Raumes sind, links der freigehaltenen
Mitte, ein im Lotossitz meditierender Bodhisattva und, rechts der zentralen
Leere, eine Tuschezeichnung mit einem wirbelnden Derwischtänzer.
Könnte mensch dies so interpretieren, dass Dag Hammarskjöld
schon Mitte der 50er Jahre, lange bevor die Yoga-, Zen- und Sufi-Welle
in den späten 60er Jahren in den Westen kam, diese beiden nicht-christlichen
Pfade in sein Bewusst-Sein integriert hatte?
In Dag Hammarskjöld treffen wir auf etwas noch re-evolutionäreres
als nur auf die Nachfolge Jesus, was heutzutage schon re-evolutionär
genug wäre. In ihm unterliegt diese Nachfolge einer Metamorphose,
einer Gestaltsverwandlung. Wir können in Dag Hammarskjöld,
ganz im Sinne von Goethes Zukunftsfragment »Die Geheimnisse« oder
den Schriften Aurobindos, dem Homo Humanus Integralis begegnen.
Die evangelische Kirchenzeitung in Hamburg hat recht, wenn sie am 20.
September 1964 titelt »Ein Heiliger im politischen Leben«.
Aber Dag Hammarskjöld war eben zuletzt doch noch ein bisschen mehr
als nur »ein evangelischer Heiliger«. Wenn ich mir die Pressefotos
und Filmnachrichten anschaue, w i e Dag Hammarskjöld in den afrikanischen
und asiatischen Länder willkommen geheißen wurde, dann darf
man sagen, dass diese einfachen Menschen ein Gespür dafür hatten,
dass ihnen in Dag Hammarskjöld die noch seltene Spezies eines Menschheitsrepräsentant
begegnete.
Eine amerikanische Zeitung titelte »Er diente weder dem Osten
noch dem Westen, sondern Gott« über ihrer Rezension von Dag
Hammarskjölds Tagebuch.
Das Jahr1955 beginnt dort mit dem Eintrag: »Rumi: Wer Gott liebt,
hat keine Religion außer Gott.« In Djelaleddin Rumis Textsammlung »Divan«,
Hammarskjöld besaß zwei Ausgaben davon, eine schwedische und
eine englische, findet sich hierzu die Stelle: »Ich bin nicht Christ,
nicht Jude, nicht Parse, nicht Moslem. Ich bin nicht vom Osten, nicht
vom Westen, nicht vom Land, nicht von der See. (...) Mein Ort ist das
Ortlose, meine Spur ist das Spurlose...ich habe geschaut, dass die Welten
eins sind!«.
Wenn jemand mit einem solchen Bewusstsein nicht nur Gedichte schreibt,
sondern wie Dag Hammarskjöld Weltpolitik gestaltet, dann ist diese
Hochzeit von spiritueller Humanität und weltbürgerlicher Politik
noch selten in der Geschichte der Menschheit.
Der Text wurde dem Buch Dag Hammarskjölds
Vermächtnis des Amthor Verlages
entnommen.
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